Das Leben ist komplex und manchmal von Widersprüchlichkeit geprägt. Es gibt Tage an denen nehme ich das gar nicht so in dieser Intensität wahr, dann gibt es Tage die mich herausfordern, wie in folgendem Gespräch mit meinem jugendlichem Kind:
„Mama, gestern hat eine Freundin erzählt dass, … und dann … Das ist gemein, oder? Mama? Sag was, ich erzähle, und du hörst nie zu!“
So schnell konnte ich das komplexe Freundinnenthema gar nicht erfassen. Noch weniger eine schnelle und auch noch passende Antwort geben. Meine Frage – aus meiner Sicht recht logisch – also: „Wie war das noch mal mit der Freundin?“ Als Antwort folgte: „Ich mag jetzt nicht reden, frag nicht so viel.“ Und das, nachdem ich 20 Minuten zugehört und nur eine einzige Frage gestellt hatte.
Mama sein von Kindern, die erwachsen werden, ist geprägt von zweideutigen Botschaften wie: „Geh weg!“ und „Bitte bleib da!“, oder „Lass mich allein!“, „Lass mich in Ruhe!“ und „Versteh' mich!“, „Sieh' mich!“, „Ich brauche dich!“. Diese Ambivalenz zieht sich durch das Leben meiner Kinder, aber auch durch unsere Interaktionen.
Dieser Widerspruch im Sein und im Gespräch, erzeugt Spannung bei mir und meinem jugendlichen Kind. Mir hilft mich zu fragen: Was lehrt mich diese Lebensphase mit meinem Kind?
Ich glaube, am meisten Wert entdecke ich darin, genau dieses Gefühl der Widersprüchlichkeit auszuhalten, Widersprüchliches zu ertragen, aber auch sein zu lassen. Mit dem Herzen wahrnehmen und annehmen, was gerade ist, ohne zu versuchen, Spannungen aufzulösen. Und genau genommen gibt es auch keine Lösung, beides will gelebt, gefühlt und gesehen sein.
Es verhilft mir zur Erkenntnis, dass Zustände, die sich widersprechen, gleichzeitig wahr sein können. Im Idealfall gelingt es mir, die Widersprüchlichkeit zu benennen, eventuell leise, innerlich, um durch die entstandene Spannung nicht den Fluss des Lebens und der Beziehung zu unterbrechen.
Ich bin überzeugt, das Ertragen der Widersprüchlichkeit lohnt sich. Unseren jugendlichen Kindern geben wir durch diese Arbeit mit uns selbst einen Schatz mit. Die Spannung der Widersprüchlichkeit nicht mit allen Mitteln aufzulösen oder dagegen anzukämpfen, sondern einen Raum zu öffnen, in dem beides sein darf: Das Bleiben und das Gehen, das Erzählen-wollen und das Still-sein-dürfen, die Nähe und die Distanz. Vielleicht hilft den Jugendlichen diese Akzeptanz, um sich im Rückzug nicht verlassen zu fühlen.
Liebe Mütter und Väter, schaffen wir einen Raum für die Widersprüchlichkeiten des Lebens in unserem Elternherz und weiten dadurch die Welt in kleinen Schritten.
Judith Ried
Judith Ried ist Montessoripädagogin, Stillberaterin, Achtsamkeitstrainerin und Family Counselor in Ausbildung und unter Supervision. Sie berät in freier Praxis in Innsbruck und Mieming.
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