Blogbeiträge von Ben Schuster:
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- Geschrieben von: Ben Schuster
Theorie und Praxis der Liebe – Ein Erfahrungsbericht aus dem Halt Mich Fest-Paarseminar
„Also ehrlich gesagt – wenn meine Frau mich nicht gezwungen hätte, hier zu sein, würde ich sowas wie das hier nie machen!“, öffnet Paul*, ein kräftig gebauter Oberländer die Vorstellungsrunde.
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- Geschrieben von: Ben Schuster
"Schlag den Kühlschrank nicht so zu! Es reicht! ich habe genug von deiner Wut. Ich ertrage das nicht mehr! Krieg dich endlich in den Griff!
"Ich?! Du bist derjenige, der seine Wut in den Griff bekommen sollte. Du musst mich nicht immer so anschreien. Das habe ich von dir gelernt!!!"
"Geh in dein Zimmer!!!!"
Der Vorwurf meines Sohnes wirft mich aus dem Gleichgewicht. Was bringe ich ihm bei? Kann ich überhaupt gut mit meiner Wut umgehen, oder mache ich es ganz falsch? Zeige ich meine Grenzen oder explodiere ich einfach, weil mir alles zu viel ist? Für mich ist Wut nicht nur die mächtigste Emotion, sondern auch die verwirrendste und eine, mit der ich immer noch kämpfe, sie richtig wahrzunehmen und in effektive Handlungen zu kanalisieren.
Im ersten Teil dieses Blogs haben wir uns angesehen, wie Wut zu Unrecht für aggressives Verhalten und Konflikte verantwortlich gemacht wird. Wir haben gesehen, dass Wut starke emotionale Signale sendet, dass etwas Verletzendes, Bedrohliches oder Unerwünschtes geschieht und dass wir handeln sollten, um die Situation zu ändern. Dieses Tun ist der zweite Teil der Wut und kann entweder zu dem konstruktiven Ergebnis führen, das wir einen Wunsch formulieren, z. B. dass unsere Kinder beim Aufräumen helfen oder jemanden stoppen, der etwas Verletzendes tut, oder sie kann destruktiv sein und die Grenzen des anderen überschreiten. Dann verschlimmert sie die Situation, z. B. wenn wir völlig durchdrehen, weil uns eine Kleinigkeit triggert.
Wovon hängt es also ab, ob wir in der Lage sind, das Signal der Wut in eine konstruktive Handlung umzuwandeln?
Das autonome Nervensystem
Unser autonomes Nervensystem reguliert unsere Fähigkeit, sinnvoll auf einen Wutanfall oder eine andere starke Emotion zu reagieren oder sich davon zu erholen. Nun, wenn es dir wie mir geht, dann verunsichert dich das Lesen solcher medizinischer Begriffe vielleicht und lässt dich hier abschalten (=nicht weiterlesen). Aber vielleicht hast du auch den Verdacht, dass dein Körper manchmal selbstständig reagiert und du das nicht einfach willentlich unter Kontrolle bekommen kannst.
Hier hilft mir die Arbeit von Stephan Porges und seine Polyvagal-Theorie (ja, noch ein schwieriger Begriff, aber ich erkläre ihn gleich), mich und meinen Umgang mit Ärger, aber auch jenen der Menschen, die ich begleite, zu verstehen.
Die Polyvagal-Theorie besagt, vereinfacht gesagt, dass unser autonomes Nervensystem drei verschiedene Zustände kennt, die uns auf spezifische Weise schützen, aber auch unsere Reaktionsfähigkeit verändern:
- Im entspannten Zustand haben wir die Fähigkeit zur Verbindung und zum sozialen Engagement. Unser Körper und unser Gehirn sind in der Lage, zusammenzuarbeiten und Informationen effektiv zu verarbeiten.
- Im aktivierten Zustand sind unser Körper und unser Geist wach und zum Handeln bereit. Wenn die Aktivierung aber steigt, sind wir zunehmend wachsam, auf der Hut, bereit zu kämpfen oder zu flüchten. Unsere rationale Denkfähigkeit nimmt ab. Wir befinden uns dann im Überlebensmodus.
- Im überwältigten Zustand sind wir so erregt, dass unser Körper sich abschaltet, um die Heftigkeit der Gefühle nicht zu spüren, weil sie uns überwältigen würden, aber auch um uns körperlich z.B. vor einem Herzinfarkt zu schützen. Wir sind im erstarrten Modus und können nicht mehr rational handeln und denken.
Im gesunden Zustand pendeln wir zwischen dem entspannten und dem aktivierten Zustand hin und her, je nach unserem persönlichen Level an innerem Stress und Erregung. Das Problem ist, dass wir uns das nicht einfach "aussuchen" können, sondern dass unser Körper aufgrund der aktuell wahrgenommenen Gefühle und unserer Lebenserfahrungen autonom reagiert.
Wenn ich zum Beispiel zu spät zu einem Termin komme oder wenn mein Sohn mir vorwirft, ein schlechter Vater zu sein, verletzt mich das. Ich fühle ich mich innerlich aufgewühlt, mein Herzschlag erhöht sich, ich bin gestresst. Selbst wenn ich weiß, dass die Situation nicht kritisch, nicht lebensbedrohlich ist, versetzt mich mein Körper trotzdem in einen Zustand der Erregung. Mir einfach zu sagen, dass ich mich nicht stressen oder ruhig bleiben soll, funktioniert nicht. Mein Körper hat die Kontrolle.
Jeder Mensch hat ein anderes Maß an innerer Regulationsfähigkeit, basierend auf seinen Lebenserfahrungen und erlebten psychischen Verletzungen. Wenn mein Sohn wütend auf mich ist, dann reagiert mein Körper so, als ob eine viel größere Gefahr bestünde, als es der Fall ist und aktiviert sehr schnell meine Kampf-Flucht-Reaktion. Ich kämpfe oder gehe weg, obwohl mein Verstand weiß, dass ich eindeutig nicht in Gefahr bin und die Situation eine andere Reaktion erfordert.
Können wir also unsere automatische Stressreaktion ändern, um unsere Wut konstruktiver in Beziehung zu bringen? Können wir eine Art und Weise finden, die uns hilft “runter” zu kommen?
Wie du starke Wut regulieren kannst
Verbinde dich mit deinem Körper
Hohe Erregung beginnt autonom in unserem Körper, aber das bedeutet nicht, dass wir uns die Führung nicht zurückholen können. Wenn wir eine starke Welle der Wut spüren, können wir unser Bewusstsein nach innen richten und beginnen, das wahrzunehmen, was in unserem Körper passiert. Der erste Schritt ist, zu erkennen, dass wir uns in einem Zustand der Erregung befinden - zu bemerken, dass unser Herzschlag erhöht ist, dass unsere Atmung schnell und flach ist, dass wir angespannt sind, bereit zum Kampf oder zur Flucht.
Dann können wir aktiv damit beginnen, unsere körperlichen Reaktionen zu verändern. Das ermöglicht, dass wir die Kontrolle zurückzugewinnen und uns regulieren. Beginne damit, deine Atmung zu vertiefen, löse vielleicht deine Fäuste und strecke deine Finger, reibe deinen Nacken und entspanne deinen Kiefer, wackle mit den Zehen und spüre, wie deine Füße fest auf dem Boden stehen. Einige dieser Handlungen tun wir intuitiv, in einem stressigen Moment fahren wir oft mit den Händen durch die Haare oder massieren unseren Nacken. Wir können nicht kontrollieren, wie stark wir das Signal empfinden, aber wir können aktiv den Weg zurück in einen entspannten Modus suchen, indem wir unser Gefühl der Verbindung zu unserem Körper verändern.
Es überrascht mich immer wieder, wie anders andere auf mich reagieren, wenn ich aus einem Zustand der Verbindung mit mir selbst heraus reagiere. Ein festes "Nein" oder ein "Bitte hilf mir beim Aufräumen" aus diesem Raum der Selbstanbindung scheint Wunder zu wirken. Ich fühle mich immer noch stark und sicher in dem, was ich will, aber nicht mehr aus dem Gleichgewicht und verzweifelt. Mein Ärger hat sich von einem aggressiven Ausbruch zu einer konkreten Bitte um Veränderung gewandelt.
Erlaube dir deine Gefühle & sei freundlich im inneren Dialog
Ein wichtiger Teil der Selbstregulierung ist auch, freundlich zu uns selbst zu sein. Wenn unsere Kinder laut und fordernd sind, ist es normal, dass wir wütend werden und das Gefühl haben, dass es zu viel ist. Wenn mein innerer Dialog freundlich ist, wenn er Verständnis für das hat, was vor sich geht, hilft er mir, mich wieder mit mir selbst zu verbinden. Ich benutze oft die Worte: "Es ist in Ordnung, dass du gerade total überfordert bist, es ist schwierig, zu Hause festzusitzen, es ist schwierig, ein Kind alleine großzuziehen, es ist in Ordnung, dass es zu viel für dich ist, du bist kein Übermensch, du hättest jetzt gerne Hilfe, aber es gibt keine, also ist es in Ordnung, dass du dich überfordert fühlst". Dieser kurze Dialog anerkennt und würdigt meine eigenen Gefühle der Überwältigung, lässt zu, dass sie da sind, ermöglicht, dass ich sie fühle und hilft mir, mich innerlich zu entspannen.
Nimm dir einen Moment Zeit, um es für dich selbst auszuprobieren. Denke an etwas, das dich wütend macht, vielleicht ist es die Corona-Situation, deine Arbeit, die Kinder oder dein Partner. Was auch immer es ist, erlaube der Wut, da zu sein, sage dir, dass es ok ist, dass du wütend bist, dass du überwältigt bist, dass du dich so fühlst und dass es sowohl erlaubt als auch angemessen ist, dass du kämpfst. Spürst du die Veränderung? Du kannst diesen Dialog mit dir selbst fortsetzen, bis du spürst, wie sich die Spannung in deinem Körper ein wenig entspannt.
Versuche nun das Gegenteil. Sage dir, dass die Dinge nicht so sein sollten, dass du in der Lage sein solltest, das zu bewältigen, dass dein Partner, die Kinder, die Regierung nicht so sein sollten, dass es nicht in Ordnung ist und dass du verrückt werden wirst, wenn sich nichts ändert. Wie fühlt sich das an? Merkst du den Anstieg der inneren Erregung und Spannung?
Indem wir freundlich zu uns selbst sind und unsere Gefühle zulassen, ermöglichen wir unserem Körper, sie zu spüren und unser Körper weiß, wie er sich selbst reguliert, wenn wir es zulassen. Wenn das Gefühl sehr stark ist, hilft es, sich daran zu erinnern, dass Gefühle einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Und auch wenn es sich so anfühlt, als würden sie sich nie ändern, ist der schnellste Weg, den wir ohne Hilfe anderer Menschen zur Beruhigung einschlagen können, sie anzuerkennen und in einen freundlichen inneren Dialog mit ihnen zu treten.
Von der Theorie in die Praxis
Manchmal bin ich überfordert, wenn ich daran denke, dass ich nicht nur meine Wut regulieren, sondern auch für mein Sohn da sein sollte, wenn er von starken Gefühlen überwältigt wird. Es hilft, mich dann zu erinnern, dass Muskeln auch nicht von heute auf morgen aufgebaut sind, sondern durch regelmäßiges Training und Anstrengung. Das gleiche gilt für emotionale Muskeln. Das macht mir Mut, da freue ich mich fast auf die nächste Möglichkeit zu trainieren…fast :-). Und vielleicht schaffe ich es nächstes Mal, wenn der Kühlschrank nicht das enthält, was mein Sohn mag, ein paar Mal tief zu atmen, mich selber wieder zu spüren, ein inneres Anerkennen, dass es mich aufregt und dann… dann meinen Sohn zu bitten, mich nicht gleich anzuschreien, sondern mir aufzuzählen, was er gerne im Kühlschrank hätte.
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- Geschrieben von: Ben Schuster
Was!?! Schon wieder ein Lockdown! Nicht a mal zu Silvester dürfen wir Freunde treffen! Ich halts nicht aus! Mir ist es jetzt schon zu viel. Ständig nur daheim im Familienkreis, mein Frust-Niveau ist schon am Limit! Ganz davon zu schweigen, dass ich einen Teenager daheim habe, der auch kurz vor dem Durchdrehen ist. Noch 3 Wochen! Wie soll das gehen? Wie sollen wir die Weihnachtstage und den nächsten Lockdown überstehen, ohne dass wir uns gegenseitig umbringen?
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- Geschrieben von: Ben Schuster
Mein Telefon klingelt. Eine neue Nachricht im Familienchat. Schon wieder ein Link zu einem Video.
Ich habe die Videos so satt. Nicht die lustigen. Sondern diese Videos, die vorgeben, zu erklären, was wirklich hinter den Kulissen vor sich geht. Die vorgeben, die Antworten zu kennen, oder vor Dingen zu warnen, die noch kommen werden.
Ich möchte sie ignorieren, wie schon viele Videos davor. Aber meine Neugierde siegt. Vielleicht hat dieses Video doch etwas Gutes oder Neues zu sagen.
Ich klicke und schaue.
Ich habe mich geirrt.
Schon wieder.
Es ist ein weiteres Video, das behauptet, die Wahrheit hinter der US-Wahl zu kennen, Politiker werden aller Arten von Geheimbünden beschuldigt, mit dem Teufel paktiert, Trump als Retter und Biden als Kinderschänder. Ein weiteres Qanon-Video. Argh!
Das ist zu viel für mich!
Es macht mich so wütend! Wie kann sich jemand diesen Unsinn ansehen? Wie oder warum wollen sie es teilen? Haben sie keine Selbstachtung?
Ich schreibe eine vernichtende Antwort. Bin bereit, in einen kompromisslosen Konflikt zu gehen! Aber kurz bevor ich auf Senden drücke, schaffe ich es, mich für einen Moment zurückzuhalten... gerade lange genug, um noch einmal zu überlegen, ob es hilfreich ist... gerade lange genug, um dann doch zu entscheiden, die Nachricht später zu senden. Vielleicht mit etwas weniger Aggression.
Eine Pandemie des Misstrauens
Verschwörungstheorien gibt es seit Jahrhunderten. Sie nehmen tendenziell zu, wenn Unsicherheit, Angst und Frustration groß sind. In den 1920er Jahren kursierten zum Beispiel Theorien, dass die Spanische Grippe durch das in Deutschland hergestellte Aspirin verbreitet wurde. Es schien eine einfache Antwort auf ein komplexes Problem zu sein und machte sogar Sinn, denn damals waren die Deutschen die „Bösen“.
Da die gegenwärtige Situation eine der extremsten ist, die viele von uns in ihrem Leben erlebt haben, schafft sie einen fruchtbaren Boden für alle möglichen Theorien zur Erklärung der Ereignisse. Von denen, die berechtigte Bedenken aufwerfen, bis hin zu extremen Verschwörungstheorien. Jede Erklärung scheint besser zu sein als keine. Und es ist nicht nur Corona. Die globale Erwärmung, die Wahlen in den USA, Impfungen - all das sind Themen geworden, die uns polarisieren und spalten.
Und es ist diese zweite Pandemie, das Säen von Misstrauen und Spaltung in unseren Familien, Freundschaften und Gemeinschaften, die potenziell gefährlicher ist als das Virus selbst und das Potenzial hat, das verbleibende Vertrauen zu untergraben, das wir in unsere Politiker, Institutionen und Führungsgremien haben.
Das wirkliche Problem sind Gespräche, die uns trennen
Den ganzen Tag über arbeite ich gedanklich weiter an meiner vernichtenden Nachricht. Ich erkläre, wie diese Verschwörungsvideos unsere mentalen und emotionalen Vorannahmen ausnutzen, wie sie falsche Kausalzusammenhänge schaffen und die Komplexität schwieriger Probleme mit ihren vereinfachenden "Bösewicht"-Lösungen völlig übersehen.
Und dann dämmert es mir. Mir wird klar, dass mein vernichtender Angriff nur noch mehr von dem gleichen ist. Eine andere Meinung, die behauptet, Recht zu haben. Dass das eigentliche Problem nicht das ist, worüber wir diskutieren, sondern wie wir uns begegnen und sehen. Diese "Ich habe Recht und du Unrecht"-Diskussionen sind Gespräche, die uns trennen, die polarisieren.
"Ich habe gehört, dass die Corona-Impfung ein Plan von Bill Gates ist, unsere DNA genetisch zu verändern und das Bevölkerungsproblem zu lösen".
"Warum glaubst du solchen Unsinn?".
"Du solltest nicht abtun, was ich sage. Du bist so leichtgläubig und glaubst alles, was dir die Mainstream-Medien erzählen".
"Du kannst doch nicht alles glauben, was du auf YouTube und Facebook siehst.
"Du wurdest einer Gehirnwäsche unterzogen.
"Ich!!!! Du bist so engstirnig!!"
Es sind schwarz-weiß, richtig-und-falsch Gespräche. Wir beginnen, uns gegenseitig als das Problem zu sehen. Und wir übersehen dabei, dass wir alle Menschen sind, die mit der massiven Zunahme an Komplexität und Unsicherheit zu kämpfen haben.
Wir übersehen, dass wir alle Klarheit und Gewissheit suchen. Und dass Erklärungen, so weit hergeholt sie auch erscheinen mögen, uns ein gewisses Gefühl der Sicherheit, ein gewisses Gefühl der Kontrolle oder vielleicht sogar ein gewisses Gefühl der Sinnhaftigkeit vermitteln, weil wir gegen etwas – den „Feind“ ankämpfen können..
Aber letztlich gelingt es diesen Gesprächen nicht, uns das zu geben, was wir in Zeiten der Ungewissheit so verzweifelt brauchen. Sie tragen nicht dazu bei, uns als menschliche Wesen miteinander zu verbinden. Sie stärken nicht unsere Würde.
Gespräche, die verbinden
Was wäre, wenn wir anfangen würden, Gespräche darüber zu führen, wie sich die Unsicherheit anfühlt und wie sie uns beeinflusst? Gespräche über unsere Angst und Sorge, dass Regierungen die falschen Entscheidungen treffen, über unsere Frustration über den Lock-down. Gespräche darüber, dass wir mit dem schnellen Tempo des Wandels und der Unsicherheit kämpfen und dass wir uns über soziale Ungleichheit ärgern.
Gespräche, die sich vielleicht eher so anhören...
"Ich habe gehört, dass die Corona-Impfung ein Plan von Bill Gates ist, unsere DNA genetisch zu verändern und das Bevölkerungsproblem zu lösen".
"Oh das klingt bedrohlich. Bist du unsicher, ob die Impfungen sicher sind? Oder, dass du gezwungen wirst, Impfungen zu machen".
"Ja, ich mache mir wirklich Sorgen. Es geht alles so schnell, und jeder sagt etwas anderes. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Und ich bin auch sehr wütend, dass die Regierung so polizeistaatlich agiert."
"Ja, es ist ziemlich schwer, nicht wahr? Alles fühlt sich so unsicher an. Ich habe auch damit zu kämpfen... obwohl ich eigentlich weniger wütend werde und eher Angst habe, ehrlich zu sein."
Solche Gespräche, gehen tiefer. Sie verbinden, sich mit unseren Gefühlen. Es sind Gespräche, die versuchen, den anderen als Person zu sehen und zu verstehen. Gespräche, die uns letztlich ein Stückweit Sicherheit geben, nicht durch vereinfachende Schwarz-Weiß-Lösungen, sondern durch unsere Verbindung miteinander als Menschen.
Hier ein Tipp von mir: Wenn du das nächste Mal einen Link oder ein Video erhältst, das für dich befremdlich ist, nimm das Telefon in die Hand und ruf die Person an. Nimm dir das Telefon in der Hand und ruf diese Person an. Wie geht es ihr? Ist sie glücklich? Fühlt sie sich gesehen? Wie geht sie mit all der Unsicherheit um? Das alles kann man tun, statt die konträre Meinung zurückzuschießen oder die Person als verrückt abzutun.
Sieh sie als das, was sie ist – eine Person – und nicht als das, was sie teilt oder glaubt.
Und vielleicht stellen wir fest, dass wir unter der Oberfläche doch nicht so verschieden sind, dass wir alle Angst, Wut und Traurigkeit erleben. Ja, vielleicht suchen wir an verschiedenen Orten nach Antworten, aber letztlich wollen wir alle gesehen werden, uns sicher und anerkannt fühlen. Und vielleicht entdecken wir auch, dass wir uns auf der Herzensebene verbinden können und dass dieser Moment der Verbindung es ein wenig leichter macht. Leichter, mit all der Unsicherheit, Ungleichheit und dem Überlebenskampf, der uns umgibt, umzugehen.
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Am Gespräch teilnehmen...
Welche Erfahrungen hast du damit gemacht, mit Menschen über die Verschwörungsvideos zu sprechen, die sie weitergeben?
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- Geschrieben von: Ben Schuster
„Ich halt es nicht aus, wenn die Kinder ständig streiten! Das ist doch nicht normal! Haben wir etwas falsch gemacht?“
Als Family Counselor in Ausbildung sitze ich zum ersten Mal einer Familie gegenüber. Mutter und Vater sowie zwei von drei Kindern rutschen leicht nervös auf ihren Stühlen hin und her. Ein Stuhl ist leer. Er ist für die Jüngste, die sich lieber vom Rand zuschaut, während wir uns unterhalten.
„Wir waren gestern nach einem Fest alle so gut drauf, bis plötzlich die Stimmung kippte. Anna hat sich am Knie angestoßen. Ihr Weinen und Schreien haben Max voll genervt. Er hielt ihr „Theater“ nicht aus und explodierte. Und das alles direkt vorm Zubettgehen. Wir waren alle schon so müde. Warum muss das sein?“
Als Counselor bin ich auch leicht nervös. Obwohl wir schon so viele Counselings geübt und live miterlebt haben, ist es doch sehr ungewohnt vor vier Menschen zu sitzen und wahrzunehmen, was ihnen jeweils wichtig ist. Ich möchte ihnen helfen Klarheit zu finden, in dem emotionalen Labyrinth der Familiendynamik. Ich spüre einen inneren Druck, es gut machen zu wollen. Das lenkt mich ab und führt mich weg vom Kontakt mit den Menschen, die vor mir sitzen. Ich atme tief durch.
Ich lade auch die Kinder ein, ihre Sicht und Meinung einzubringen, falls sie etwas sagen möchten. Sie werfen sich gegenseitig einen kurzen Blick zu, und schenken mir ein etwas verlegenes Lächeln. Sie sind noch unsicher, ob sie etwas sagen wollen oder nicht.
Kurz ist es ruhig im Raum und dann sagt Max:
„ … Ja und dann ist die Mama wieder ausgeflippt.“
Ich sehe, wie der Papa nickt und die Mama in ihrem Stuhl leicht zusammensackt.
„Und ich bin dann immer diejenige, die es abkriegt“, ergänzt Elena leise. „Obwohl ich nichts gemacht habe! Das finde ich total ungerecht!“
Die Eltern schauen mich fragend an: „Was sollen wir nur tun?“
Es ist ein besonderes Lehrgangswochende.
Alle 10 Counselor in Ausbildung sitzen mit ihren Familien da. Alle sind neugierig, wie das hier abläuft. Wir sind ein bunter Haufen, aus verschiedenen Konstellationen: Patchwork-Familien, Kinder im Alter von 2 bis über 30, zwei Schwestern aus einer Ordensgemeinschaft und sogar ein großer Bernhardiner. Er beobachtet das ganze Geschehen von seinem Platz am Rand des Kreises. Ein Team aus Lehrsupervisor*innen und Assistentent*innen halten den Raum und begleiten uns. Wir sind hier, um die unsichtbaren Dynamiken in unseren Familien besser kennen zu lernen und zu verstehen. Wir wollen lernen, was es heißt mit Familien zu arbeiten und was es heißt, sich als Familie Hilfe zu holen. Jede Familie hat Zeit sich mit Fragen zu beschäftigen, wofür im Alltag kein Raum ist.
- Wie ist es DU, in unserer Familie zu sein
- Was ärgert mich am meisten an unserer Familie? Erzähl ein Beispiel.
- Was glaubst du, welche Sorgen oder Gedanken sich deine Eltern über dich oder deine Geschwister machen?
Als wir als Patchworkfamilie versuchen diese Fragen zu beantworten, kommt vieles an die Oberfläche. Sind wir überhaupt eine Familie? Wenn ja, wie sieht sie aus? Wenn nein, was sind wir dann genau?
Die Schmerzen von den Trennungen sind immer noch spürbar, obwohl sie jetzt über 5 Jahre hinter uns liegen. Auch die Kinder teilen ihre Themen mit: Konflikte und Unsicherheit in der erweiterten Familie, die Angst benachteiligt zu werden, Schwierigkeiten bei gemeinsamen Entscheidungen.
Die Themen sind vertraut, aber die Fülle überfordert uns. Eine Sache ist klar. Als Familie unterwegs zu sein ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen! Familie sein bedeutet auch Streit, Ärger, Schmerz und Leid.
Wieder zurück zu der Familie, die mir mit ihrem fragenden Blick gegenübersitzt.
Ich bin mir nicht sicher, wo wir als nächstes hinschauen sollen und bin dankbar für die Möglichkeit mich mit dem Supervisor, Svend aus Dänemark, zu unterhalten. In der Reflexion mit ihm überlege ich, welcher Schritt als nächster Sinn macht.
Ist die Mama überfordert, weil der Papa nicht unterstützt?
Fehlt es den Kindern an Aufmerksamkeit und sie kämpfen darum?
Fehlt eine gesunde Streitkultur in der Familie?
Wir steigen wieder in das Gespräch ein.
Es wird gemeinsam hingeschaut und erforscht welche Dynamiken das Zusammensein in diesen Situationen so schwer macht. Es zeigt sich, dass der Papa sehr wohl unterstützt und präsent ist. Die Kinder bekommen Aufmerksamkeit und im Großen und Ganzen, gibt es eine gesunde Familiendynamik. Außer bei solchen Streitereien. Da gerät etwas außer Kontrolle und es wird allen sehr schnell zu viel.
Immer wieder kommen wir im Gespräch auf die Streitkultur zurück.
„Mir ist das ständige Streiten zu viel."
„Ich mag nicht immer der Schiedsrichter sein."
„Ich will nicht, dass die Kinder so viel streiten. Das ist doch nicht normal."
Da kommt die ruhige Stimme von Svend, unserem Supervisor, der im Stuhl neben mir sitzt. „Aber auch das ist Liebe“
Kinder brauchen Streit, damit sie Beziehungskompetenz lernen können. Die Familie ist der einzige Ort, wo richtig hart gestritten werden kann und es trotzdem ein Ort der Liebe und Sicherheit bleiben kann. Es ist sehr, sehr wichtig, dass die Kinder selbst die Themen ausstreiten können. Für Eltern ist das oft sehr schwer auszuhalten.
Im Raum ist es plötzlich ruhig. Obwohl ich sie nicht direkt sehen kann, spüre ich die fragenden Blicke. Die meisten im Raum kennen diesen Gedanken aus den Büchern von Jesper Juul. Aber es in einer realen Situation zu erleben, zu spüren wie unmöglich es scheint diesen anzunehmen, geht tief rein.
Die Mama drückt sogleich aus, was sich sicher viele im Raum denken.
„Ja…aber ich mag das nicht. Ich halte das nicht aus. Es ist zu anstrengend. Ich will nicht, dass die Kinder so miteinander reden. Da muss ich doch etwas sagen… oder?"
„Aber Mama, wenn wir doch nur streiten, dann brauchen wir deine Hilfe nicht“, sagt Elena leise zu-ihrer Mama.
Svend nickt deutlich. Er schaut Elena an, mit einem bestätigenden Blick, lehnt sich zurück in den Stuhl und erklärt:
„Das Schwerste für Eltern ist, die Verantwortung. für das zu übernehmen, was man nicht geben kann oder will. Manchmal kann man einfach nicht mehr geben oder es ist zu anstrengend. Das ist OK. Eltern sind auch nur Menschen, die ihre Grenzen haben. Aber die Verantwortung für deine eigene Begrenzung, etwas auszuhalten zu übernehmen, ist sehr wichtig. Das heißt, dass du nicht nur deine eigenen Gefühle in dem Moment aushalten musst, sondern auch, wie die Kinder darauf reagieren und ihre Gefühle zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel, musst du wenn du „Nein“ sagst, aushalten, dass dein Kind wütend, traurig oder genervt reagiert. So lernen sie damit umzugehen. Und nur weil du sagst, es ist mir zu viel, heißt es nicht, dass die Kinder zu streiten aufhören sollen. Du musst für dich selbst die Verantwortung übernehmen. Wenn es dir zu viel wird, geh woanders hin. So bekommst du den Streit nicht mit.“
Der Counselor schaut zum Papa. „Wie geht es dir, wenn die Kinder streiten oder es einen Konflikt gibt? Kannst du das aushalten oder in solchen Momenten deiner Frau helfen, dass auch sie es aushalten lernt?“
„Ich kann damit ganz gut umgehen. Es nervt schon, aber es macht mich nicht total fertig.“
„Aber… das kann doch nicht die Lösung sein. Dass ich die Kinder streiten lasse? Muss ich nicht als Mama schauen, dass niemand verletzt wird, dass es nicht außer Kontrolle gerät?
„Deine Verantwortung in diesem Moment ist, gut für dich zu sorgen. Dass du die Kontrolle über dich nicht verlierst. Dass du es aushältst, dass deine Kinder die Verantwortung für ihre Konflikte übernehmen können und dass du deine Überforderung nicht auf die Kinder überträgst. Mehr musst du nicht machen. Aber das ist schon viel.“
„Das ist aber schwer. Ich mag es nicht, wenn sie Schimpfwörter verwenden. Kann ich da nichts tun?“
„Ja, Eltern sein ist manchmal schwer. Und Ja, du kannst sagen, dass du das nicht magst. Aber der Schiedsrichter solltest du nicht werden. “
Svend´s Botschaft ist klar und deutlich, es holt die Eltern in die Verantwortung. Gleichzeitig spüre ich seine große Empathie für die Eltern und was es heißt, diese schwierigen Situationen auszuhalten.
Was es heißt Familie zu sein...
Ich verlasse, das Familienwochenende mit einer tiefen Bewunderung für Familien. Obwohl Familie sein oft schwierig ist, ist es auch etwas Besonderes. Etwas, das Zugehörigkeit in guten und schlechten Zeiten gibt. Ich bin erstaunt, wie gut die Kinder wissen, was sie brauchen, und wie gut sie das auch zum Ausdruck bringen können, wenn wir ihnen zuhören. Ich spüre den Wunsch, auch meinem Sohn genauer zuzuhören und seine Perspektive zu verstehen.
Und gleichzeitig arbeitet es in mir nach.
Es ist klar das Kinder sehr wohl Verantwortung für sich und ihre Aufgaben übernehmen können und wollen, wenn man sie lässt. Viel mehr als wir es ihnen zumuten. Das haben die vielen Gespräche immer wieder gezeigt. Es ist aber auch klar, dass die Eltern für ihren Anteil die Verantwortung übernehmen müssen. Für ihre Emotionen und Gefühlen, für ihre Überforderung und für ihre begrenzten Kapazitäten. Wenn dieses nicht geschieht, dann sind alle überfordert.
Und mir ist klar, dass diese Grenzen sich immer wieder vermischen werden und sich manchmal Überforderung breitmacht, wenn die Verantwortung mal wieder nicht übernommen wird. Aber man kann sich entschuldigen. Es kommt wieder zur Versöhnung. Vielleicht bedeutet genau das, Familie zu sein. Gemeinsam zu wachsen!
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- Geschrieben von: Ben Schuster
Der Urlaub steht vor der Tür, und ich unterhalte mich mit meinem 16-jährigen Sohn über unsere Urlaubspläne. Ich freue mich, dass wir uns mit einigen Freunden treffen und dass meine Freundin und ihre Kinder auch dabei sein werden.
"Wenn sie mitkommt, dann komme ich nicht mit,“ sagt er sofort.
Ich bin schockiert. Was?!?!?!?!" Von einer Sekunde auf die andere ist mein Kopf leer. Ich denke nur noch in Schwarz und Weiß. Entweder läuft es so wie ich will und er verliert oder umgekehrt. Und damit kommt die Angst vor einer Entscheidung, die mir unmöglich erscheint und die ich nicht treffen will. Ich will mich nicht zwischen meinem Sohn oder meiner Freundin entscheiden.
Letztes Jahr ist vieles schief gegangen. Wir haben schon auf dem Weg in den Urlaub gestritten. Wir haben während wir dort waren fast jeden Tag gestritten. Und wir haben auch auf dem Heimweg gestritten. Einige Male hatte ich das Gefühl, es wäre entspannter, nicht im Urlaub zu sein. Zu viele widersprüchliche Bedürfnisse. Zu viele Emotionen. Zwei Familiensysteme, die sich immer wieder in die Quere kommen. Vier Teenager, die alle ihre Bedürfnisse erfüllt haben wollten. Zwei Erwachsene, die, gelinde gesagt, völlig überfordert waren. Und keine Freunde oder andere Möglichkeiten, sich auszutoben und schwierige Gefühle zu zeigen. Eine entspannte Zeit? Kaum.
Und mit seiner Erklärung "Ich komme nicht mit" überflutet mich die volle emotionale Erinnerung an das letzte Jahr. Die Wut. Die Beklemmung. Das Gefühl, festzustecken. Hilflos zu sein. Überwältigt zu sein.
Emotionaler Überfall
Durch meine Erfahrung als Family Counselor habe ich ein ziemlich klares Bild, was jetzt gerade mit mir passiert und was ich auch tun muss. Im Moment der Überforderung schaltet mein System von einer Sekunde auf den Nächsten auf Notfall um, und damit steigt auch die Bereitschaft zu Kämpfen oder zu Fliehen. Ich muss einen Weg finden, meine Gefühle zu fühlen, mit mir selbst wieder in Kontakt zu kommen. Ich muss mein System beruhigen, um wieder handlungsfähig zu werden.
Obwohl wir kopfgesteuerte Menschen sind, sind meine Gedanken hier nicht hilfreich, sondern befeuern nur meine Kampf-/Fluchtbereitschaft. Wir kommen erst über unsere Gefühle und körperlichen Empfindungen wieder mit uns selbst in Kontakt. Durch Selbstberuhigung und dem Ernstnehmen der eigenen Gefühle signalisieren wir unserem System „die Gefahr ist jetzt vorbei, jetzt ist es sicher“.
Im Sommerurlaub letztes Jahr ist mir dies nicht gelungen. Mein Stresssystem war dauernd auf Stufe Rot, und die geringste Provokation veranlassten mich zum Angriff oder Flucht. Was natürlich nur die Abwehr meines Sohnes oder meiner Freundin aktivierte und zu einem ständigem:" Du hast gesagt", "Ja, aber du hast getan", "Nein, das warst du“ führte. Die Meinungsverschiedenheiten waren oft klein, aber die emotionalen Reaktionen waren groß! Mein ständiges Kämpfen verhinderte, dass ich mich selbst wahrnehmen und fühlen konnte. Ich blieb stecken!
In die Gefühle eintauchen
Ich atme also jetzt tief durch und erinnere mich daran, dass meine Gefühle einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, und tauche ein. Was fühle ich? Ich probiere, das aufzuschreiben
- Ich bin schockiert, dass mein Sohn so heftig reagiert.
- Ich bin schockiert, dass es mich so vom Hocker gehaut hat.
Die bewegungslose Starre fühlt sich sehr fest an. Aber ich atme tief durch und mache weiter…
- Ich habe Angst, dass mein Sohn nicht mit mir in den Urlaub fahren will…
- Ich habe Angst, dass ich nicht mit meiner Freundin wegfahren kann…
- Ich habe Angst vor weiterem Streit und Ungewissheit…
Während ich die Sätze schreibe, bleibe ich mit meiner Angst präsent. Ich fühle sie. Lasse sie zu. Ich versuche nicht, sie aufzulösen oder mein Denken zu aktivieren, in dem ich nach Lösungen suche. Ich schreibe meine Gefühle einfach auf. Ich spüre es tut gut. Ich habe viele Ängste, die mir nicht bewusst waren. Meine heftige Reaktion macht zunehmend Sinn. Ich bleibe dran. Was ist sonst noch da?
- Ich bin wütend, dass meine Freundin nicht mehr unternimmt, die Beziehung mit meinem Sohn zu verbessern.
- Ich bin wütend, dass er nicht macht was ich gerne hätte.
- Ich ärgere mich darüber, dass Patchwork so schwierig ist und dass wir dieses Gespräch führen müssen
Während ich meine Wut aufschreibe, spüre ich einen Energieschub. Ein Teil von mir will „ja aber“ sagen, die Wut verkleinern. Aber einen anderen Teil lässt die Wut zu. Ich muss nicht nur schöne Gefühle haben. Es nervt einfach und jetzt kann ich es zulassen. Es kommt auch der Wunsch, die Dinge zu ändern; Grenzen zu setzen oder für das einzutreten, was mir wichtig ist; aktiv zu sein. Ich spüre auch, welche meiner Wünsche oder Sehnsüchte für mich wichtiger sind. Ich versuche bewusst keine, Aktionspläne zu erstellen oder mich darin zu verfangen, wie ich diese Dinge verwirklichen kann. Ich lasse einfach zu, dass meine Wut jetzt da ist, dass ich sie spüre, wie sie steigt und sich wandelt. Und es kommen neue Gefühle…
- Ich bin traurig, dass mein Sohn sich bei meiner Freundin und ihren Kindern anscheinend nicht wohl fühlt.
- Ich bin traurig, dass wir in diesen Kämpfen stecken bleiben und die Zeit miteinander nicht genießen.
- Ich bin traurig, dass ich diese Probleme gefühlt allein bewältigen muss.
Im ersten Moment fühlt es sich schwer und hoffnungslos an. Ich versuche nicht, mir einzureden, dass es nicht so schlimm ist. Ich lasse die Schwere zu. Und dann kommt ein kleines Loslassen. Ein annehmen, dass es so ist. Und die Trauer fühlt sich überraschenderweise erleichternd an. Ich mag es immer noch nicht, dass die Dinge nicht so sind, wie ich sie mir wünsche. Aber, ich kann auch anfangen sie zu akzeptieren. Jetzt ist es so. Das darf sein. Und es steigt in mir eine Offenheit für das, was da ist auf.
- Ich bin neugierig, wie mein Sohn den Urlaub letztes Jahr eigentlich erlebt hat
- Ich bin neugierig, was er sich von den freien Tagen erhofft
- Ich bin offen für neue Ideen und Vorschläge
Die Offenheit fühlt sich gut an. Wie ein Vertrauen in unsere Beziehung. Das bekommen wir schon hin. Es überrascht mich, wie schnell meine inneren Gefühle sich von Widerstand zu Offenheit verändert haben. Die Offenheit ist echt, nicht gezwungen. Und ich spüre plötzlich, was ich mir wünsche…
- Ich möchte sowohl mit meinem Sohn als auch mit meiner Freundin in den Urlaub fahren können.
- Ich möchte einen schönen Sommer haben,
- Ich möchte, dass wir eine schöne Zeit miteinander verbringen
- Ich möchte Zeit für mich, Zeit mit meinem Sohn und Zeit mit meiner Freundin.
- Ich möchte, dass es unkompliziert ist… ahh… das möchte ich sehr!!!
Ich spüre mich wieder. Es tut gut. Ich kann wieder tief und frei atmen. Ich fühle mich wieder mit mir verbunden. Meine Füße fest auf dem Boden. Und es ist eine ganz andere Energie da.
Eine Änderung von Innen
Nachdem ich diesen Prozess durchlaufen habe, wird mir plötzlich bewusst, dass mein Drang zu kämpfen oder zu fliehen sich verändert hat. Es ist jetzt zum Wünsch geworden mit meinem Sohn und meiner Freundin zu sprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Lösung finden werden. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, dass die Situation schwarz oder weiß ist, und dass es einen Gewinner und einen Verlierer geben wird. Ich bin jetzt bereit, meine, seine und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Und in allem will ich dem treu bleiben was mir wichtig ist.
Es entstehen in mir neue Wörter, die ausgesprochen werden möchten. „Tut mir leid, dass ich unser Gespräch über den Urlaub so blöd angefangen habe. In dem Moment konnte ich nicht reagieren, ich war überfordert. Aber ich habe gehört, dass du Bedenken hast. Können wir das Thema nochmals angehen. Ich würde gerne hören, wie es letztes Jahr für dich war, was du dir wünscht und würde dir auch gerne erzählen, wie es für mich war und was ich mir wünsche…
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- Geschrieben von: Ben Schuster
Ich setze mich wieder an den PC und fühle mich gut. Ich bin ein guter Papa. Ich habe langsam den Dreh bei dieser Homeoffice-Sache heraus. Habe mir Zeit für ein angenehmes Mittagessen mit meinem Sohn genommen, fühle ich mich jetzt gut in meiner Haut. Noch ein paar Dinge erledigen, damit ich den Tag ausklingen lassen und mich abends entspannen kann. Dann ruft meine Freundin an und fragt, ob ich ihrer Tochter helfen kann. Nach ein paar Minuten hat sie ihre Aufgabe geschafft und mein 16-jähriger erscheint in der Tür.
"Ich muss mein Biologieprojekt mit dir besprechen, ich kenn mich da nicht aus!“
Ich spüre wie der Frust in mir steigt. Ich will vor meinem nächsten Termin noch etwas fertig machen. Schon wieder eine Störung! "Wir haben gerade eine Stunde zusammen zu Mittag gehabt. Du hättest da was sagen können. Ich muss jetzt weiterarbeiten. Lass uns später reden". Einen kurzen Moment lang, spüre ich, dass mein Stresspegel wieder sinkt, und ich bin insgeheim stolz darauf, dass ich eine gewisse Struktur aufrechterhalte und mich auch um meine Bedürfnisse kümmere.
"Aber ich brauche jetzt Hilfe"!
"Ja, aber ich habe einen Termin, der in 20 Minuten beginnt, und möchte vorher noch etwas erledigen!
"Du hast nie Zeit für mich! Du interessierst dich nie für das, was ich tue. Du hast immer Zeit für andere. Aber nicht für mich!"
Ich spüre wie die Wut in mir aufsteigt. Bevor ich noch meine innere Kernschmelze stoppen kann, schaue ich mir zu, wie ich wie ein Vulkan über meinen 16-jährigen Sohn ausbreche. „Nie! Du hast keine Ahnung, wie viel ich für dich tue. Du merkst es nie, wenn ich mir Zeit nehme, dir zu helfen. Du siehst immer nur das, was ich nicht tue! Du... du… du…!!!!"
Ich brauche die Geschichte nicht fertig zu erzählen, damit ihr wisst, wo sie endete. Ich höre noch immer das Zuschlagen seiner Zimmertür. Ich spüre die intensive Wut und Frustration; das Gefühl nicht verstanden zu sein. Die Ruhe eines angenehmen gemeinsamen Mittagessens, nur 10 Minuten zuvor - eine ferne Erinnerung. Was bleibt, sind die Trümmer eines Zusammenbruchs unserer Beziehung. Alle beide haben wir uns hinter die Mauern der Wut zurückgezogen. Meine Hoffnung auf einen effektiven Nachmittag ist dahin! Ich schaffe es, die kurze Skype-Konferenz zu überstehen und gehe nach draußen, in der Hoffnung, meinen Kopf frei zu bekommen.
Was ist gerade passiert?
Wie konnte ich so ausflippen? Alles schien so gut? Ich bin in letzter Zeit viel besser mit seinen Launen fertig geworden. Warum hat mich das gerade so hart getroffen?
Ich bin wütend. Aber erste Risse erscheinen in meinem harten Panzer. Ich zweifle an mir selbst. Bin ich wirklich ein guter Vater? Habe ich nie Zeit für meinen Sohn? Interessiere ich mich wirklich nicht für das, was er tut? Während ich gehe, beginne ich zu befürchten, dass etwas daran wahr sein konnte. Ich bin oft nicht zu 100% anwesend oder völlig daran interessiert, was er in der Schule macht. Meine Gedanken drehen sich oft um berufliche Probleme, ganz zu schweigen von den Rechnungen, die zu bezahlen sind, der Reparatur des Autos, dem Haushalt und allem anderen, was zum Alltag dazu gehört.
Jetzt wird aus meiner Wut ein Schuldgefühl. Jetzt fühle ich mich wie ein schlechter Vater. Ich lasse meinen Sohn im Stich. Eine weitere Erwartung kommt zu der langen Liste von Dingen hinzu, die ich tun/können/schaffen muss, um ein guter Vater zu sein: immer für meinen Sohn da sein, wenn er Hilfe braucht. Immer. Damit er sich nie vernachlässigt fühlt.
Es ist hoffnungslos
Und dann: Es ist zu viel. Zu viel Druck. Wie soll das jemals gehen? Ich werde es nie schaffen, ihm alles zu geben, was er braucht. Ich werde nie ein guter Papa sein!
Ich bleibe stehen. Setze mich an einen Fluss. Ich bin erschöpft. Ich sehe das Wasser vorbeifließen. Die warme Sonne verlangsamt meine Gedanken. Ich kippe für 10 Minuten weg.
Als ich aufwache, scheint sich der Nebel im Kopf ein wenig aufgelöst zu haben. Ich fühle mich weicher. Irgendwie freundlicher zu mir selbst. Vielleicht liegt es an dem kurzen Nickerchen.
Was auch immer diese Änderung hervorgebracht hat, ich kann jetzt deutlich sehen, dass es wirklich hoffnungslos ist. Ich kann nicht mehr "tun"! Ich schaffe es nicht, alles zu tun, was mein Sohn erwartet oder sogar braucht, um zufrieden zu sein. Ich werde nie ein perfekter Vater sein. Ja, es ist hart, ihn enttäuscht oder verärgert zu sehen. Und ja, es ist noch härter, wenn er mir vorwirft, dass ich schuld daran bin, dass er sich so fühlt. Und das Härteste daran ist, dass ich ja wirklich ständig versuche, Dinge zu tun, die ihn glücklich machen. Und das Gefühl, als Elternteil versagt zu haben ist fast unerträglich.
Aber es ist einfach nicht möglich. Ich werde nie in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass er immer zufrieden ist. Schon gar nicht als 16-jähriger, dessen Stimmungen alle 5 Minuten schwanken.
Irgendwie weiß ich tief im Inneren, dass mein Versuch, ein perfekter Vater zu sein, zum Scheitern verurteilt ist. Ich muss einen Weg finden, um mit der Tatsache zurechtzukommen, dass er manchmal unglücklich und unzufrieden ist. Und dass er mir dafür sogar die Schuld geben wird. Aber das ist in Ordnung. Das ist sogar normal.
Nur ein guter Vater sein?
Ein neuer Gedanke beginnt sich in meinem Kopf zu bilden... Was, wenn ich „nur“ ein guter Vater wäre? Nicht perfekt. Nicht großartig. Nur OK. Gut genug. Jemand, der gelegentlich ausflippt, wenn’s zu viel wird. Jemand, der manchmal sagen muss: "Ich kann dich jetzt nicht helfen" oder "Mir ist das gerade zu viel, besprechen wir es später" oder "Ich weiß nicht" oder einfach mal „nein“ sagt. Ein durchschnittlicher Papa, der seinen Sohn enttäuschen darf und nicht immer in der Lage ist, das zu tun, was er sich wünscht, oder auch immer da zu sein, wenn er mich braucht.
Das ist ein befreiender Gedanke. Aber einer, mit dem ich gleichzeitig kämpfe. Ja, aber was ist, wenn ich etwas falsch mache, was ist, wenn er wirklich nicht OK sein wird? Was, wenn ich ihm Schaden zufüge? Was, wenn er mich wirklich brauchen würde und ich bin nicht da? Was, wenn er das Gefühl hat, dass ich ihn nicht liebe? Was dann?
Kinder brauchen keine perfekten Eltern
Dann erinnere ich mich an etwas, was ich von Jesper Juul gelesen habe: Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sie brauchen Eltern, die gut genug sind, die ok sind, aber nicht perfekte Eltern! Sie brauchen auch Eltern, die authentische Vorbilder sind, und die ihren Kindern beibringen, für sich selbst zu sorgen, indem sie für sich selber sorgen und ihre Grenzen kennen und auch schützen.
Das Fenster der Hoffnung öffnet sich wieder und mit ihm das Gefühl der Befreiung. Wenn ich nicht perfekt sein muss, dann ist es einfacher, mit schwierigen Situationen umzugehen. Schwierige Situationen kommen vor und Teenager regen sich auf. Das ist in Ordnung. Es bedeutet nicht, dass ich ihn nicht liebe oder dass ich ein schlechter Vater bin. Es bedeutet, dass etwas anders ist, als er es sich wünscht und dass er sich damit schwertut. Er lernt, dass das Leben manchmal herausfordernd ist. Es ist eine schwierige Lektion, durch die wir alle hindurchmüssen: lernen mit den Enttäuschungen des Lebens umzugehen. Und wenn es für mich in Ordnung ist, dass er manchmal verärgert ist, dann ist es auch in Ordnung, wenn ich „nein“ sage oder „nicht jetzt“. Dann ist es auch in Ordnung, dass ich auch manchmal überfordert bin oder mich aufrege. Es ist uns beiden erlaubt, unvollkommen zu sein, und nicht so schöne Gefühle zu haben.
Ahh... das gibt mir Raum zum Atmen. Wieder verschiebt sich etwas in mir. Ich fühle mich weicher. Ich fühle mich offener. Und langsam kommt der Wunsch, nach Hause zurückzukehren.
Der Wunsch es wieder gut zu machen
Ich stehe auf und gehe langsam nach Hause. Und mit jedem Schritt wächst der Wunsch, mit meinem Sohn zu sprechen. Der Wunsch, mich für meine Explosion zu entschuldigen. Nicht weil ich es "muss", um ein guter Vater zu sein. Nein, weil ich es möchte. Weil ich meine Geduld in einem schwierigen Moment "verloren habe" und auch auf diesem Weg, den man Leben nennt, manchmal zu kämpfen habe. Und je mehr ich meine eigene Unvollkommenheit und mein eigenes Ringen akzeptiere, desto leichter fällt es mir seltsamerweise, seine Aufregung und sein Ringen zu verstehen. Und zu akzeptieren, dass es in Ordnung ist. Es fühlt sich an, als hätten wir ein geheimes Band; etwas Gemeinsames: Keine Perfektion – eigentlich eher unsere Unvollkommenheit - der Kampf, mit schwierigen Emotionen und Gefühlen umzugehen. Wir haben beide den Wunsch, gesehen zu werden -Und verstanden zu werden - geliebt zu sein.
Und das gibt mir die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden wird. Denn ich spüre jetzt die tiefe Liebe zu ihm, die unter all dem Ringen immer da ist. Und obwohl ich nicht wissen oder kontrollieren kann, welche Höhen und Tiefen mein Sohn und ich durchleben werden. Ich weiß zumindest, dass wir uns ihnen nicht allein stellen müssen.