Ich bin mit der Aufforderung aufgewachsen: „übernimm deine Verantwortung!“ Zurzeit beschäftigen mich viele Fragen zu diesem Thema ganz besonders: „Wofür bin ich verantwortlich?“ „Und wofür nicht?“ „Wofür sind wir gemeinsam verantwortlich?“
„Ist es meine Verantwortung, dass im Haus jene Ordnung herrscht, die ich für angemessen und wohltuend erachte?“ „Bin ich verantwortlich, wenn in meiner Paarbeziehung oder in der Familie dicke Luft herrscht?“ Bin ich dafür verantwortlich, dass die für mich wichtigen Punkte auf die Tagesordnung der nächsten Vereinssitzung kommen?“ „Wo beginnt und wo endet meine Verantwortung für die Umwelt?“
Inspiriert von Jesper Juul denke ich mittlerweile, dass Verantwortung verschiedene Aspekte oder Dimensionen hat: einen sozialen, einen persönlichen, einen globalen, …
Er berichtete in einer Veranstaltung, dass er und seine Mitbewohner in einer WG einen großen Gemeinschaftsgarten hatte, für den vereinbart war, dass die WG-Bewohner*innen abwechselnd die Verantwortung übernehmen sollten. Jesper bestellte den Garten oft allein, auch wenn die Verantwortung an jemand anderes übergegangen war. Dennoch wiesen die jeweils Verantwortlichen Besuchern gegenüber stolz darauf hin, dass sie für den tollen Garten zuständig seien. Sie hatten die soziale Verantwortung für das gemeinsame Gemüse zugewiesen bekommen. In Jespers Augen hatten sie diese allerdings nicht im vollen Umfang übernommen. Er hatte immer noch das Gefühl, sich um den Garten kümmern zu müssen und ärgerte sich darüber, dass seine Kolleginnen und Kollegen damit brüsteten.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass die soziale Verantwortung nur zur Gänze von der verantwortlichen Person übernommen werden kann und auch wird, wenn diese auch „auf dem Tisch liegt". Die Person, die sich zunächst verantwortlich fühlt (oder verantwortlich ist), muss die Verantwortung vollständig an die nächste übergeben. Oft erlebe ich, dass sich ein Familienmitglied immer noch für das Kochen verantwortlich fühlt, obwohl jemand anderes gerade dran ist, die Mahlzeiten zuzubereiten. Entsprechend lastet gefühlsmäßig noch immer ein Teil der Verantwortung auf der bereits abgelösten Person und der aktuelle Koch fühlt sich in seiner Verantwortungsübernahme gehemmt.
Jespers Beispiel lässt uns auch einen Blick auf die persönliche Dimension der Verantwortung werfen: Wenn ich darüber wütend werde (oder traurig oder verzweifelt), dass niemand mir die Last abnimmt oder die Verantwortung übernimmt (z. B. für den Garten), dann kann ich mit den anderen kämpfen, ihnen Vorwürfe machen, sie seien unverantwortlich etc. Ich kann mich auch selbst bis zu Erschöpfung abrackern. Oder ich übernehme persönliche Verantwortung für meine Gefühle und meine Grenzen, und ich nehme diese als meine eigenen wahr (ohne Schuldzuweisung) und benenne: „Mir wird es zu viel und ich bin deshalb sauer“. Auch das Bedürfnis nach einem gutbestellten Garten kann ich als mein eigenes wahrnehmen und benennen. Für mich wird hier klar, wie soziale und persönliche Verantwortung miteinander verknüpft sind und wie wichtig die Differenzierung ist, um klar aussprechen zu können, worum es mir gerade geht.
Das Beispiel des Gartens zeigt auch, wie wichtig es ist, dass ich mich in persönlicher Sprache ausdrücke: „Ich wünsche mir so sehr, dass wir einen schönen Garten haben, mit gesundem Gemüse! Und ich bin wütend darüber, dass ich mich dafür abrackere. Ich will, dass die jeweilige Gärtnerin sich um den Garten kümmert. Wenn sie Hilfe braucht, bin ich gerne bereit zu helfen.“ Dabei ist wichtig, dass nicht nur mein (Unmuts-)gefühl zum Ausdruck kommt, sondern auch was ich von den anderen brauche. Eine Sprache, in der ich von mir spreche und nicht über die oder den anderen. Und eine Sprache, die meine Erwartungen und Hoffnungen benennt.
Achtsamkeit, ist für mich das Instrument, das es mir ermöglicht, meine Gefühle als meine eigenen und meine Grenzen als solche wahrzunehmen. Ohne auf mich selbst zu achten, bleibe ich „außer mir“. Damit fällt es mir schwer, beim Sprechen in Kontakt mit mir selbst zu bleiben und über mich zu sprechen – also in persönlicher Sprache.
Zurzeit nehme ich sehr stark auch die globale Dimension von Verantwortung wahr: gerade der Klimawandel und die Bedrohung unseres Lebens durch die großen, menschengemachten Eingriffe in unsere Umwelt, lassen mich meine Verantwortung für das große Ganze spüren. Wie kann ich verantwortungsvoll mit den natürlichen Ressourcen umgehen, die mir mein Leben ermöglichen? Auch diese Dimension von Verantwortung hängt mit der persönlichen zusammen: der Klimawandel und die Folgen, die dieser hervorruft, lösen in mir Gefühle wie Angst, Wut, Trauer, aus.
Für mich ist es nun wichtig, einerseits diese Gefühle als meine eigenen zu identifizieren und zu benennen. Und es ist wichtig, aus meiner Position meine Erwartungen und Forderungen auszudrücken und mir dabei bewusst zu machen, wem diese gelten: den Mitgliedern meiner Gemeinschaft? Den Politikern? Wem sonst noch? Dies gilt im privaten Kreis und in meinem engeren sozialen Umfeld; und weil ich in einer größeren Gemeinschaft eingebettet bin, finde ich es auch wichtig, mich innerhalb dieser Gemeinschaft auszudrücken.
Für mich ist das schwierig, weil ich diese Differenzierung erst jetzt lerne und ich manchmal einfach nur Trauer und Wut wahrnehme, die vielleicht zur Tatenlosigkeit der Politiker*innen gehört, die ich aber meinen Mitbewohner*innen zu spüren gebe, als gehörte sie zu ihnen.
Ganz im Gegenteil zu unserem Anteil bei der sozialen Dimension, gibt es bei der globalen Dimension von Verantwortung niemanden, dem wir diesen Anteil "überlassen" können. Weder „der Politik" noch den Nachbarn kann ich meinen Verantwortungsanteil zuschieben. Ich kann mich zwar darüber ereifern, dass "die nichts tun" aber das bleibt - anders als bei den Konflikten um den sozialen Aspekt der Verantwortung - ohne weitere Reaktion. Der globale Aspekt löst allerdings bei mir Ohnmachtsgefühle und Ängste aus. Ein bewusster Umgang mit diesen Gefühlen scheint mir ebenso wichtig, wie mit den Gefühlen, die mit den anderen Dimensionen von Verantwortung zusammenhängen.
So steige ich mit meiner FFP2 Maske in den Zug, weil ich mich vor einer Corona-Infektion schützen will und weil ich niemanden unwissentlich anstecken möchte. Und ich halte die skeptischen Blicke aus, die mich unangenehm berühren. Nach dieser Fahrt möchte ich auf keinen Fall die Menschen, mit denen ich zusammentreffe, mit meinen Gefühlen überschütten. Sie gehören nicht zu ihnen.