Eine wichtige Überlebensstrategie in der Krise ist die, Positives zu finden, etwas, das uns Hoffnung macht: Das gibt Zuversicht und eine Perspektive. Darüber hinaus richten wir so unseren Blick auf unsere Ressourcen – und auch das ist in belastenden Ausnahmesituationen lebenswichtig!
Ich war letzthin Zeuge einer Debatte zwischen einem jungen Mann, der gerade eine kleine Werkstatt eröffnet hatte und einem nicht mehr ganz jungen Mann, der gerade in Rente gegangen war. Der Junge beklagte sich recht emotional über die "blöden Politiker" die von ihrem gesicherten Posten aus Maßnahmen träfen, mit denen sie alles kaputt machen würden. Dem jungen Mann war die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, auch wenn er diese mit viel Wut ausdrückte. Der Alte fragte darauf in guter Pro und Contra Manier, ob dem Jungen was Besseres einfiele. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, entschuldigte sich der Pensionist. Er habe dem jungen Handwerker nicht zu nahe treten wollen. Dieser antwortete: "mir ist nach unserem Gespräch klar geworden, dass wir viel zu wenig über die Ängste sprechen, die uns umtreiben." Dem jungen Mann war offenbar schlagartig klar geworden, dass es bei wichtigen Gesprächen nicht so sehr um den Inhalt geht, als vielmehr um das, was sich auf der Gefühls- und der Beziehungsebene abspielt.
Wie oft fühle ich mich von meinem Gegenüber nicht verstanden und versucht – immer verzweifelter – mit möglichst "guten" Argumenten zu überreden, "Recht" zu bekommen. Gerade in Situationen wie der aktuellen Corona-Ausnahmesituation geht es neben der nötigen Sachdiskussion darum, unsere Gefühle auszudrücken und auf die Gefühlsäußerung unserer Gesprächspartner*in genau hinzuhören. In einer emotional so aufgeladenen Lage liegen die Gefühle "auf der Hand". Man möchte meinen, nichts sei also leichter, als den Gesprächspartner auf seine Gefühle anzusprechen: "Das scheint dich zu erregen. Magst du mir sagen, was dich so bewegt?“ Es kann sein, dass sich daraus ein intensives Gespräch darüber ergibt, was Unsicherheit, Distanz oder Angst mit mir und dem anderen machen.
Der junge Handwerker wäre vermutlich bereit, mit mir und mit dem Rentner über seine Zukunftssorge zu reden.
Für manche meiner Freunde und Bekannten wäre allerdings das Wagnis zu groß, sich in so unsicheren Zeiten mit den eigenen Gefühlen zu zeigen. Hoffnung macht mir da die Geschichte einer befreundeten Familie:
Die Matri- und Patriarchen, sechs Geschwister, hatten sich schon vor Jahren bitter zerstritten, vor allem über Politik, aber auch darüber, wie die eine oder der andere sich öffentlich äußerte bzw. auftrat. Kein Wort wurde mehr untereinander gewechselt, besonders eine der Schwestern wurde mit Ignorieren "bestraft". Die Pandemie hatte nun eine dramatische Wende zum Positiven bewirkt. Als im Lockdown die Geschwister – jedes für sich – mit der eigenen Verletzlichkeit in Berührung kamen und sich der eigenen Endlichkeit bewusst wurden, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: "Ja, was haben wir da gemacht?“, sagte der jüngste Bruder zu mir. "Wir haben uns gemieden und geschnitten, dabei sind wir Geschwister einander doch das Wertvollste, was wir in diesem Leben haben! Wir streiten uns um Lächerlichkeiten!“. Mittlerweile treffen sich die sechs regelmäßig und laden einander zum Essen ein.
Ich wünsche uns allen, dass uns eine solche Einsicht gegeben sei, und dass es uns gelingt, sie zu hegen und zu pflegen.